Eine Geschichte, die wir alle gut kennen. Martin – der Gute, der Helfer, das Vorbild. Der uns – wie Jesus es so oft tut – zeigt, was Nächstenliebe bedeutet.
Er glaubt an die Menschlichkeit, an das Gute in der Welt – und gibt die Hoffnung daran nicht auf.
Aber beim genaueren Hinsehen steckt in der Geschichte etwas Unerwartetes: In der Nacht nach seiner guten Tat träumt Martin von Jesus. Jesus trägt den halben Mantel. Jesus ist der Bettler.
Das verändert den Blick: Nicht der helfende Martin symbolisiert Christus, sondern der, der friert, der nichts hat, der am Rand sitzt.
Allen Kindern wird immer beigebracht, so zu sein wie der heilige Martin. Niemand sagt ihnen: Handle wie Jesus, handle wie der Bettler.
Auf den ersten Blick scheint es nicht wirklich erstrebenswert, wie der Bettler zu sein. Wenn man aber den zweiten Blick wagt, sieht man seine versteckten Kämpfe. Er friert im Schnee, er leidet körperlich. Und trotzdem schleppt er sich aus seinem Unterschlupf an den Straßenrand.
Er glaubt an die Menschlichkeit, an das Gute in der Welt – und gibt die Hoffnung daran nicht auf.
Ich glaube, dass St. Martin und der Bettler im Grunde gar nicht so verschieden sind. Ihre Lebensumstände und Strukturen haben sie vermutlich nur in völlig unterschiedliche gesellschaftliche Positionen gebracht.
In der Welt wird es immer beides geben – Menschen, die helfen können, und Menschen, die Hilfe annehmen. Mal stehen wir auf der Seite der Gebenden, mal auf der Seite der Empfangenden. Und das ist gut so. Beide Seiten verändern einander, und beide Seiten brauchen einander. Darin liegt das Göttliche. Das bedeutet Menschlichkeit.
Rabea Kuhlmann, Pastoralreferentin

